24 Sep2012
Offener Brief: Demokratie im Stadtrat wird ausgehebelt
Offener Brief der Stadträte Irmgard Freihoffer und Richard Spieß (Linke)
An die Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat
Offener Brief zur letzten Fraktionsvorsitzenden-Konferenz
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir schreiben Ihnen, weil elementare Regeln demokratischer Prozesse in Regensburg aufs Gröbste verletzt werden. In einem Bericht der Mittelbayerischen Zeitung vom 22. September („Regensburger K-Fragen“) wird über eine gemeinsame Konferenz der Fraktionsvorsitzenden und des Oberbürgermeisters berichtet. Bei diesem Treffen wurden politische Themen erörtert, die aus unserer Sicht ureigenste Themen für die Ausschüsse und für den Stadtrat sind. Wenn am Schluss des Artikels zu lesen ist, dass der Oberbürgermeister von den Fraktionsvorsitzenden einen einvernehmlichen Handlungsauftrag bekam, dann bedeutet das, dass eine Entscheidung unter Umgehung der demokratisch gewählten Organe dieser Stadt gefallen ist.
Die Argumentation, dass bei diesen Treffen nur Vorgespräche geführt würden, ist damit unzutreffend. Die Fraktionsvorsitzenden sind bei ihren informellen Treffen mit dem Oberbürgermeister nicht dazu befugt, solche Handlungsaufträge zu erteilen.
Eine besondere Missachtung der demokratischen Regeln stellt dabei die selektive Weitergabe von Informationen dar. Im MZ-Bericht vom 22.9. heißt es: „In der Fraktionsvorsitzenden-Besprechung stellte der OB das Konzept für ein Tagungs- und Veranstaltungszentrum im Schlachthof detailliert vor.“ Nach der Bayerischen Gemeindeordnung darf bei der Weitergabe von Informationen keine Unterscheidung zwischen Fraktionen und nicht fraktionsgebundenen Stadtratsmitgliedern getroffen werden. Der Oberbürgermeister hätte also zumindest auch einen Vertreter der anderen nicht fraktionsgebundenen Parteien im Stadtrat einladen müssen.
In einem Aufsatz dazu schreibt Dr. Josef Ziegler, der bis Oktober 2010 Vorstand der Bayerischen Verwaltungsschule in München war: „Entsprechendes gilt für Fraktionsführerbesprechungen. Lädt ein Bürgermeister oder Landrat dazu ein, muss er auch den Einzelgängern im Rat die Gelegenheit zur Teilnahme geben.“
Jeder Fraktionsvorsitzende wird bei der Diskussion der Themen, die hier besprochen wurden, unter dem Druck stehen, seine dort geäußerte Meinung zu verteidigen. Diese Diskussionen in den Fraktionsvorsitzendenkonferenzen werden aber ohne den dafür vorgesehenen Meinungsbildungsprozess geführt, nämlich ohne die dafür von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Stadträtinnen und Stadträte, die in Ausschüssen und im Stadtrat zuständig sind.
Damit wird der Meinungsbildungsprozess in unserer Stadtgesellschaft aus unserer Sicht auf den Kopf gestellt. Die Themen müssen zuerst in der Stadtgesellschaft bekannt gemacht und dann in interessierten Kreisen diskutiert werden. Die Vertreter dieser Menschen, nämlich die gewählten Stadträtinnen und –räte, bringen dann die Meinung zuerst in den Fraktionssitzungen und dann in den Ausschüssen und im Stadtrat ein. So funktioniert Demokratie.
Es ist natürlich für den Oberbürgermeister eine einfachere Sache, fünf Fraktionsvorsitzende, die in der Regel nur kurze oder gar keine Vorbereitungszeit für die Besprechungen mit ihm haben, von seinen Wünschen zu überzeugen, als den ganzen Stadtrat, der auch noch mit Argumenten aus der Bürgerschaft aufwartet.
Was den Schlachthof anbelangt, wird so ein wichtiges Thema wieder einmal im Schnellverfahren durchgewunken. Wieso stellte Herr Oberbürgermeister Schaidinger das Konzept für ein Tagungs- und Veranstaltungszentrum im Schlachthof auf dieser Besprechung ausführlich vor und nicht zuerst in den Ausschüssen und im Stadtrat? Weil dies in einem Top-down-Prozess dazu führt, dass die Meinungsbildung eben in seinem Sinne verläuft. Zuerst werden die Fraktionsvorsitzenden überzeugt, die dann mit einem Informationsvorsprung in ihren Fraktionen wirken, deren Mitglieder häufig in den Stadtrats- oder Ausschusssitzungen in gewohnter Fraktionsdisziplin nur mehr ihre Hand im richtigen Moment zu heben brauchen. Leitet der Oberbürgermeister eine Sitzung, brauchen sie nicht einmal diese Leistung vollbringen. Wo aber bleiben die Regensburgerinnen und Regensburger? Darf Stellvertreterpolitik so weit gehen?
Es gibt keine Möglichkeit mehr, das Schlachthofthema in breiter Öffentlichkeit zu diskutieren. Die Fraktionen werden am Montag von ihren Vorsitzenden noch darüber informiert, was besprochen wurde und am Mittwoch wird das Ganze dann im Schnellverfahren durch die Ausschüsse und den Stadtrat gepeitscht. Für Demokratie bleibt keine Zeit.
Es würde kein Schaden entstehen, wenn man sich die Zeit nehmen würde, um ein bisher nur sehr eindimensional beleuchtetes Thema in seiner ganzen Breite zu diskutieren und dann eine Entscheidung zu finden. So ist zu befürchten, dass die Argumente der Kulturschaffenden nur mehr am Rande erwähnt werden und so getan wird, als ob sie nicht willens oder gar im Stande gewesen wären, ein vernünftiges Konzept vorzulegen. Was Oberbürgermeister Schaidinger mit einer laut regensburg-digital abfälligen Bemerkung beiseite gewischt hat (am 3. September „Der OB behandelt uns wie Deppen“), wurde den gewählten VertreterInnen nicht einmal zur Kenntnis gebracht, geschweige denn diskutiert. Auch ein faires Finanzierungsangebot für eine Kunsthalle, so wie es jetzt für ein Tagungs- und Verwaltungszentrum vorgelegt wurde, gab es nicht. Natürlich hätten die Kulturschaffenden dieser Stadt eine andere Planung vorgelegt, wenn sie gewusst hätten, dass ein Defizit von einer Million Euro jährlich kein Problem ist.
Mit freundlichen Grüßen
Richard Spieß
Irmgard Freihoffer
Schlachthof-Nutzung: Abnicken erwünscht | Regensburg Digital
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